Rousseau's Bekenntnisse by Rousseau Jean Jacques

Rousseau's Bekenntnisse by Rousseau Jean Jacques

Author:Rousseau, Jean Jacques [Rousseau, Jean Jacques]
Language: deu
Format: epub
Published: 2011-04-12T22:00:00+00:00


1732

Schon seit einiger Zeit beabsichtigte Merceret, die von ihrer Herrin noch nicht die geringste Nachricht erhalten hatte, nach Freiburg zurückzukehren; jetzt bewog Giraud sie, ihren Entschluß zur Ausführung zu bringen. Sie that mehr; sie überzeugte sie, daß es gut wäre, wenn jemand sie zu ihrem Vater zurückbrächte, und schlug mich dazu vor. Die kleine Merceret, der ich ebenfalls nicht mißfiel, fand diesen Gedanken sehr gut. Noch an dem nämlichen Tage sprachen beide mit mir davon wie von einer abgemachten Sache, und da ich in dieser Art, über mich zu verfügen, nichts Beleidigendes sah, so willigte ich ein, indem ich glaubte, daß diese Reise höchstens acht Tage in Anspruch nehmen könnte. Die Giraud, die darüber andere Gedanken hegte, richtete alles ein. Ich konnte den Zustand meiner Geldverhältnisse nicht verschweigen. Man trug Fürsorge, die Merceret übernahm die Deckung meiner Reisekosten, und um diesen Mehraufwand wieder einzubringen, wurde auf meine Bitte abgemacht, daß wir nach Voraussendung ihres geringen Gepäckes in kleinen Tagereisen zu Fuße gehen sollten. Und so geschah es.

Es ärgert mich zu erzählen, daß so viele Mädchen in mich verliebt waren; da ich aber auf den Gewinn, den mir alle diese Liebeshändel eingetragen haben, nicht sehr stolz sein kann, glaube ich unbedenklich die Wahrheit sagen zu dürfen. Jünger und weniger gewitzigt als die Giraud, ist mir die Merceret nie so herausfordernd entgegengekommen; aber sie ahmte mir im Tone und in der Aussprache nach, wiederholte meine Lieblingsredensarten, erwies mir Aufmerksamkeiten, die ich ihr hätte erweisen müssen, und trug, da sie sehr furchtsam war, stets große Sorge dafür, daß wir in demselben Zimmer schliefen, eine Gemeinsamkeit, die sich, sobald ein junger Mann von zwanzig Jahren und ein Mädchen von fünfundzwanzig mit einander reisen, selten darauf beschränkt.

Dennoch geschah es diesmal. Meine Einfalt war der Art, daß mir während der ganzen Reise, obgleich die Merceret nicht unschön war, ich sage nicht die geringste galante Versuchung, sondern nicht einmal der entfernteste Gedanke daran kam; und wäre dieser Gedanke je in mir aufgestiegen, so wäre ich zu dumm gewesen, ihn zu verwerthen. Ich konnte mir keinen Begriff davon machen, wie ein Mädchen und ein Bursch dazu kommen könnten, zusammenzuschlafen; ich wähnte, dieses schreckliche Übereinkommen verlangte Jahrhundert lange Vorbereitungen. Wenn die arme Merceret darauf rechnete, daß ich sie dafür, daß sie mich frei hielt, schadlos halten würde, so täuschte sie sich sehr, und wir kamen in Freiburg eben so unschuldig an, als wir Annecy verlassen hatten.

Als wir durch Genf kamen, besuchte ich niemanden, aber auf der Brücke wäre ich beinahe krank geworden. Nie habe ich die Mauern dieser glücklichen Stadt sehen, nie sie betreten können, ohne von einer gewissen krankhaften Schwäche befallen zu werden, die in einer übergroßen Rührung ihren Grund hatte. Während das erhabene Bild der Freiheit meine Seele erhob, rührte mich der Anblick der Gleichheit, der Einigkeit, der Sittenreinheit bis zu Thränen und erfüllte mich mit tiefer Trauer, alle diese Güter verloren zu haben. In welchem Irrthume befand ich mich, und doch, wie natürlich war er nicht! Weil ich dies alles in meiner Seele trug, glaubte ich es auch in meinem Vaterlande zu sehen.



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